Digitale Splittermond Tickleiste

Das Rollenspielsystem Splittermond hat mich vom ersten Moment an begeistert. Das im Grunde simple Probensystem mit komplexen Erweiterungen, die Möglichkeiten zur Individualisierung der Charaktere, sowie das ausgeklügelte Magiesystem haben dazu geführt, dass ich dem Schwarzen Auge den Rücken gekehrt habe, und fortan mit meinen Abenteurern durch Lorakis zog.

Leider gibt es einen Aspekt, der mir auf dem Papier wirklich gut gefällt, in der Umsetzung aber einige Schwächen aufweist, die den Verlauf eines Spielabends drastisch beeinflussen können: das Kampfsystem.

Das Kampfsystem von Splittermond

Splittermond setzt bei seinem Kampfsystem auf eine Tickleiste. Dies ist eine Art Spielbrett mit nummerierten Feldern. Jeder Spieler und jeder Gegner erhält eine Spielfigur, die (abhängig von der Initiative) auf ein Startfeld gesetzt wird. Jede Aktion, die ein Charakter im Kampf ausführt, kostet eine festgelegte Anzahl an Ticks. Nach der Aktion wird der jeweilige Spielstein um entsprechend viele Felder vorgesetzt. Es ist immer der Spieler am Zug, der am weitesten zurückliegt.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Regeln, wie die Unterscheidung zwischen sofortigen und kontinuierlichen Handlungen, Regelungen zu maximalen Abständen zwischen den Spielsteinen oder Zustände, welche die Anzahl der Ticks pro Aktion beeinflussen oder nach einer festgelegten Anzahl an Ticks ausgelöst werden. Über alle Details zu sprechen, würde hier den Rahmen sprengen.

Eine solche Tickleiste bietet eine ganze Reihe an Vorteilen. Die unterschiedliche Anzahl benötigter Ticks pro Aktion gibt dem Kampfgeschehen einen deutlich realistischeren Ablauf, als bei Systemen, in denen die Spieler im Uhrzeigersinn handeln. Schnellere Aktionen brauchen weniger Ticks als langsame Aktionen. So kann es schonmal vorkommen, dass ein Charakter mehrere Aktionen ausführen kann, bevor der nächste Spieler an der Reihe ist. Dies eröffnet eine ganze Reihe taktischer Möglichkeiten. Auch die Waffen werden deutlich vielfältiger, da jeder Waffe eine eigene Waffengeschwindigkeit zugeordnet wird. Nimmt man eine langsamere Waffe, die mehr Schaden verursacht, oder lieber eine schnelle Waffe, die zwar nicht so gefährlich ist, dafür aber mehr als einen Angriff erlaubt, bevor der Gegner wieder am Zug ist?

Darüber hinaus ist der visuelle und haptische Aspekt für die Spieler nicht zu verachten. Die Tickleiste visualisiert das Kampfgeschehen, sodass die Spieler jederzeit im Blick behalten, wer als nächstes am Zug ist und wie lange es dauert, bis der Kontrahent wieder handeln darf. Da die Spieler ihre Spielsteine in der Regel selbst setzen, bekommen sie zudem das Gefühl, aktiver am Spielgeschehen teilzunehmen.

All diese Vorteile haben jedoch ihren Preis und dieser ist nicht gerade klein. Das Spielgeschehen wird drastisch in die länge gezogen. Ich persönlich bin ein Fan von kurzen Gefechten, welche Spannung in der Spielrunde bringen. Jeder Spieler sollte mitfiebern, ob die Charaktere den nächsten Angriffen standhalten können. Ein Kampf in Splittermond erzeugt dieses Gefühl leider nicht. Ganz im Gegenteil. Die langen Wartezeiten sorgen häufig dafür, dass die Spieler dem Kampfgeschehen nicht mehr folgen, insbesondere bei einer größeren Anzahl an Kampfteilnehmern. Doch wieso dauert ein Kampf überhaupt so lange?

In meinen Spielrunden läuft es in der Regel so ab, dass, wenn ein Kampf startet, zunächst einmal der Spieltisch für die Tickleiste freigeräumt werden muss. Charakterbögen werden beiseite geräumt, Snacks hastig fortgeschoben. Anschließend wird die Tickleiste aufgebaut. Jeder fragt noch einmal nach, wie denn genau das mit der Initiative funktioniert. Fragen, die ich beantworten muss, während ich parallel bereits die Startpositionen der Gegner auswürfle. Irgendwann ist dann alles bereit für den ersten Zug, doch durch den Aufbau entsteht ein krasser Bruch der Atmosphäre.

Doch jetzt wird erstmal gekämpft. In jedem Zug wird zunächst überlegt, was man denn machen möchte. Statt eine simple Aktion auszuführen wird zunächst die Tickleiste studiert. Wie viele Ticks habe ich zur Verfügung? Welche Aktionen sind möglich? Wie viele Ticks kosten diese Aktionen? Kann ich vielleicht besser anders handeln, um dem Gegner in der Zeit mehr zu schaden? Welche Zauber beherrsche ich nochmal und wie lange dauert deren Wirkung? Passt das dann überhaupt mit meinen Fokuspunkten? All diese Überlegungen treffen meine Spieler normalerweise erst, wenn ihr Zug beginnt. Klar, man könnte auch vorab schon planen, doch wer weiß schon, wie viele Ticks der Gegner bis dahin verbraucht?

Fairerweise muss ich dazu sagen, dass meine Spielrunde aus eher unerfahrenen Spielern besteht, deren taktisches Denken sich sehr an den Charakterwerten und weniger am Rollenspiel orientiert. Und das ist völlig in Ordnung. Ein Spielsystem wie Splittermond, welches so großen Wert auf Charakterwerte legt, spricht eben genau solche Spieler an. Mit der Zeit, wenn die Spieler einigermaßen mit den Regeln vertraut sind, nehmen die Kämpfe auch an Fahrt auf, doch machen sie noch immer einen Großteil des Spielabends aus, was nicht selten dazu führt, dass Kämpfe sowohl von mir, als auch von den Spielern eher gemieden werden.

Ein weiteres Manko der Tickleiste, welches ich hier noch ansprechen möchte, ist die Arbeit mit Zuständen. Durch bestimmte Aktionen (z.B. Zauber oder verpatzte Proben) können Charaktere Zustände wie z.B. Brennend oder Benommen erleiden. Solche Zustände werden ebenfalls über die Tickleiste reguliert. Ein Charakter brennt in der Regel für 90 Ticks und erleidet alle 15 Ticks Brandschaden. Ein benommener Charakter braucht, je nach Stufe des Zustands, 1-3 zusätzliche Ticks für jede Aktion und erholt sich nach 60 Ticks. Erhält ein benommener Charakter diesen Zustand erneut, werden die 60 Ticks auf die verbliebene Dauer addiert und die Stufe entsprechend erhöht. Da den Überblick zu behalten, wann welcher Charakter Schaden durch einen Zustand erhält und wann dieser Zustand abklingt, ist nicht gerade einfach und immer wieder kommt es am Spieltisch zu der Situation, dass einem Spieler einfällt, dass er seinen Zustand nicht beachtet hat. Vor allem, wenn der Spielleiter dies vergisst, kann das auch mal zu Diskussionen führen, ob die Zustände nicht nun rückwirkend angewandt werden sollten.

Digitalisierung der Tickleiste

Über die Jahre habe ich immer mal wieder versucht, mir die Arbeit mit der Tickleiste angenehmer zu gestalten. Einer meiner ersten Versuche war die Entwicklung einer digitalen Version. Das Programm sollte in erster Linie Platz am Spieltisch sparen und die Verwaltung der Zustände regulieren. Um eine möglichst große Bandbreite an Endgeräten anzusprechen, habe ich mich bei der Programmiersprache für JavaScript und für eine HTML-Oberfläche entschieden.

Das fertige Programm kann sich durchaus sehen lassen. Der Anwender kann Kampfteilnehmer direkt mit den notwendigen Werten, wie Initiative, Waffengeschwindigkeit und Tick-Zuschlag anlegen, ihnen eine Farbe zuordnen und in verschiedene Gruppen einteilen. Nach dem Start des Kampfes erscheint die Aktionsauswahl. Das Programm berechnet automatisch die Initiative aller Kampfteilnehmer und verfolgt deren Position auf der Tickleiste. Alle getätigten Aktionen werden am rechten Rand aufgelistet, sodass jederzeit nachvollzogen werden kann, wer welche Aktion ausgeführt hat. Die Aktionsauswahl ist dynamisch konstruiert und berücksichtigt die aktuellen Kampfpositionen der Teilnehmer. Die Aktion Aufstehen (liegend) kann beispielsweise nur ausgeführt werden, wenn der Charakter aktuell als liegend gilt. Auch Regeln zum Abwarten und Bereithalten, das Unterbrechen kontinuierlicher Aktionen, sowie Aktionen mit variabler Tickanzahl (z.B. Zauberdauer) werden unterstützt.

Im Spiel ist es jederzeit möglich, einem Charakter einen Zustand zu verpassen. Wird ein Zustand ausgelöst (z.B. wenn ein Charakter Schaden durch den Zustand Brennend erhält), gibt das Programm eine Meldung aus und berechnet zudem direkt den vom Zustand verursachten Schaden. Jedem Zustand kann zudem eine Dauer mitgegeben werden, sodass dieser automatisch nach der erforderlichen Anzahl an Ticks verfällt.

Ein Kampf kann jederzeit unterbrochen werden. Der aktuelle Stand wird anhand einer zufällig generierten ID (zu finden in der URL) lokal im Browser gespeichert. Es ist jederzeit möglich zwischen offenen Sitzungen zu wechseln. Die aktuelle Sitzung kann zudem in eine Datei gespeichert und später wieder geladen werden. Außerdem können Kampfteilnehmer exportiert und importiert werden. Dadurch lassen sich vorab schon Vorbereitungen treffen.

Technischer Hintergrund

Dieser Abschnitt wird etwas technischer und setzt Kenntnisse in der JavaScript-Entwicklung voraus. Wenn euch das nicht interessiert, überspringt ihn einfach.

Das Programm läuft im Browser und verwendet eine HTML Oberfläche und JavaScript für das Backend mit jQuery als Framework. Beim Öffnen der Basis-URL (ohne GET-Parameter) wird ein zehnstelliger Session-Code generiert und der Anwender wird auf eine parametrisierte URL weitergeleitet, welche den Code über den Parameter session übergibt. Unter diesem Code wird die aktuelle Sitzung nach jeder Änderung im localStorage des Browsers gespeichert. Durch den Aufruf der URL mit demselben Session-Code wird die entsprechende Sitzung aus dem localStorage geladen, selbst wenn der Browser zwischenzeitlich geschlossen wurde.

Die Verwendung des lokalen Speichers hat jedoch den Nachteil, dass die Daten nie automatisch bereinigt werden. Daher gibt es im Programm die Möglichkeit, die offenen Sitzungen einzusehen, zwischen ihnen zu wechseln oder sie bei Bedarf zu löschen.

Neben den jQuery (v1.11.3) werden zusätzlich jscolor (v2.0.4), sowie Font Awesome (v4.4.0) als Fremdressourcen verwendet. Die von mir erstellten Dateien beschränken sich auf eine HTML-Datei, eine CSS-Datei, sowie vier JavaScript-Dateien, welche den Code strukturieren. Eine dieser Dateien fungiert als eine Art Datenbank, in der z.B. Zustände und deren Effekte hinterlegt sind, aber auch eingepflegte Kampfteilnehmer, aktive Zustände und der Kampfverlauf gespeichert werden. Eine weitere Datei enthält lediglich Klassendefinitionen (sofern das in JavaScript möglich ist). Die anderen beiden Dateien verwalten die aktuelle Sitzung und die HTML-Oberfläche.

Warum erzähle ich euch das alles? Unten findet ihr neben einem Link zur Online-Variante auch den Quellcode zum Download. Wer Lust hat, darf sich hier austoben und das Programm nach Belieben anpassen oder erweitern. Eine wirkliche Dokumentation des Projekts gibt es zwar nicht, aber der Quellcode ist umfangreich kommentiert.

Anwendung in der Praxis

In der Praxis hat sich das Programm insbesondere in der Verwaltung der Zustände bewährt. Auch die Zeit, die zuvor für die Berechnung der Initiative und der Neupositionierung der Spielsteine benötigt wurde, fiel nun weg. Allerdings konnten viele der Zeitfresser nicht beseitigt werden. Die ständigen Überlegungen, was mit den zur Verfügung stehenden Ticks gemacht werden kann wurden durch die fehlende visuelle Komponente sogar noch weiter in die Länge gezogen.

Je nach Verwendung des Programms hat zudem nur der Spielleiter einen Überblick über das Kampfgeschehen. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist das Streamen der Anwendung auf einen Fernseher, den alle Spieler sehen können. Das lenkt den Fokus jedoch vom Spieltisch weg, was bei gleichzeitiger Verwendung von Karten eher hinderlich ist.

Ein weiteres Manko ist die Vorbereitung der Kämpfe. Kommt es zu einem spontanen Kampf, müssen zunächst die Kampfteilnehmer in das Programm eingepflegt werden. Zwar können für vorab geplante Kämpfe entsprechende Vorlagen erstellt werden, doch wann halten sich die Spieler schonmal an den Plan des Spielleiters?

Alles in allem bin ich jedoch sehr zufrieden mit der Umsetzung des Programms, auch wenn es im Praxistest deutlich weniger Vorteile bietet, als ich gehofft hatte. Viele der Zeitfresser lassen sich durch das Programm nicht beseitigen und Zeit, die erfolgreich eingespart wurde, kann die Nachteile durch den fehlenden visuellen Aspekt nicht aufwiegen. Lediglich bei Kämpfen, in denen häufig mit Zuständen hantiert wird, lohnt sich der Griff nach dem Tablet, ggf. auch in Kombination mit der herkömmlichen Tickleiste. Und sind wir doch mal ehrlich: Macht nicht gerade der analoge Aspekt des Pen&Paper-Rollenspiels einen Großteil seines Charmes aus?

Ich nutze die Anwendung heute nicht mehr und bin zur klassischen Tickleiste zurückgekehrt. Damit das Programm jedoch nicht auf meiner Festplatte versauert, möchte ich auch euch die Möglichkeit geben, die digitale Tickleiste zu verwenden. Ihr erreicht die Tickleiste online über den Link http://apps.fenrath.de/ticker/. Alternativ könnt ihr euch auch die Dateien herunterladen, um diese lokal auszuführen, oder bei Bedarf zu erweitern. Bei Fragen könnt ihr mich gerne jederzeit kontaktieren. Verbesserungsvorschläge höre ich mir auch gerne an, aber ich plane aktuell nicht, das Programm weiterzuentwickeln.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Ausprobieren!

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